Atlantik-Bastardschildkröte, Lepidochelys kempii, – © Sando L. Bonatto

Vilaça - 2022 - 02

Vilaça, S. T., A. Torres Hahn, E. Naro-Maciel, F. A. Abreu-Grobois, B. W. Bowen, J. C. Castilhos, C. Ciofi, N. N. FitzSimmons, M. P. Jensen, A. Formia, C. J. Limpus, C. Natali, L. S. Soares, B. de Thoisy, S. D. Whiting & S. L. Bonatto (2022): Global phylogeography of ridley sea turtles (Lepidochelys spp.): evolution, demography, connectivity, and conservation. – Conservation Genetics 23(6): 995–1010.

Die globale phylogeography für die Bastardschildkröten (Lepidochelys spp.): Evolution, Demographie, Konnektivität und Arterhaltung.

DOI: 10.1007/s10592-022-01465-3 ➚

Atlantik-Bastardschildkröte, Lepidochelys kempii, – © Sando L. Bonatto
Atlantik-Bastardschildkröte,
Lepidochelys kempii,
© Sando L. Bonatto

Global verbreitete marine Taxa eignen sich sehr gut für Untersuchungen über den Einfluss von Biogeographie auf die genetische Diversität, die Konnektivität und die populationsdemographischen Auswirkungen. Die Meeresschildkrötengattung Lepidochelys umfasst die sehr weit verbreitete Grüne Bastardschildkröte (L. olivacea) und die geographisch sehr begrenzt vorkommende hochgradig bedrohte Karibik-Bastardschildkröte (L. kempii). Um deren geschichtliche Biogeographie zu analysieren untersuchten wir einen großen Datensatz an mitochondrialer DNS (mtDNS)-Sequenzen von Grünen (n = 943) und Karibischen (n = 287) Bastardschildkröten und wir genotypisierten 15 nukleäre Mikrosatellitenloki in einer globalen Probensammlung von Grünen Bastardschildkröten (n = 285). Unsere Daten sprechen dafür, dass sich beiden Spezies vor ungefähr 7,5 Millionenjahren trennten und zwar bevor sich die Meerenge von Panama verschloss. Die heute älteste mitochondriale Linie der Grünen Bastardschildkröte mit einem ungefähren Alter von 2,2 Millionenjahren findet sich im Indischen Ozean. Sowohl die mitochondrialen wie auch die nukleären Marker verweisen auf eine signifikante Struktur zwischen den atlantischen (ATL), den ostpazifischen (EP) und indopazifischen (IWP) Regionen in denen Grüne Bastardschildkröten vorkommen. Allerdings erwies sich die Aufspaltung der mtDNS-Kladen als sehr jung (< 1 Millionenjahre) mit einer sehr geringen Diversität innerhalb der Kladen was die Modelannahme unterstützt, dass es zu wiederholten Aussterbe- und Wiederbesiedlungsereignissen in diesen Regionen kam. Alle Daten verwiesen darauf, dass die ATL- und IWP-Gruppen sehr viel näher miteinander verwandt waren als die der EP-Gruppen wobei die mtDNS-Daten andeuten, dass es erst kürzlich zu einer Wiederbesiedlung der ATL-Region ausgehend von der IWP-Region kam. Die individuelle Ausbreitung der Grünen Bastardschildkröten zwischen den Gruppen von ATL, EP, und IN/IWP scheint sich weit mehr durch die Männchen beeinflusst zu sein als durch die Weibchen wobei die geringste genetische Diversität im atlantischen Ozean beobachtet werden konnte. Alle Populationen zeigen Anzeichen für kürzlich erfolgte Expansion und die Abschätzungen für deren zeitlichen Verlauf zeigten eine Übereinstimmung mit deren vor kurzen erfolgten Besiedlungsgeschichte. Die Untersuchung der Abundanz von Arten sowie deren Verbreitungsveränderungen über die Zeit liefert zentrale Erkenntnisse für die Evolutionsbiologie und diese hier vorgelegte Studie liefert einen historischen, biogeographischen Kontext für die Erhaltung und das Management von marinen Wirbeltieren.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Arbeit vermittelt einmal mehr ein schönes dynamisches Bild für die Besiedlung von in diesem Fall Meeresregionen und die genetische Strukturierung von Arten sowie deren Aufspaltung. Wir sollten daraus durchaus erkennen, dass es sich bei der Evolution um einen dynamischen Prozess handelt, der eigentlich wenig mit dem eher statischen Begriff der Arterhaltung wie er häufig von uns gebraucht wird zu tun hat. Und wir erleben ja gerade wieder einen sehr schnell voranschreitenden Wandel der durch die globale Erderwärmung bedingt wird. Ich will hier nicht wieder darauf eingehen wer oder was dafür verantwortlich sein kann, denn Letzteres wurde hier schon oft diskutiert. Wir sollten uns aber fragen wie sich Arten diesem Wandel anpassen können und welche Veränderungen sich dadurch für Arten ergeben? Wenn wir es einmal auf die Meeresschildkröten als gutes Beispiel beschränken sollten wir uns schon fragen wie die Beobachtungen von Arantes et al., (2020) und Vilaça et al., (2022) diesbezüglich ins Bild passen und ob nicht die gerade in jüngster Zeit beobachteten Hybridisierungsereignisse auch damit in einem Zusammenhang stehen? Insofern wird es dann schon für ein vernünftiges Evolutionslinienerhaltungsmanagement wichtig sein genau hinzuschauen und zu überlegen wie wir diese Beobachtungen langfristig einzuschätzen haben. Siehe dazu auch Bidmon, (2017).

Literatur

Arantes, L. S., L. C. L. Ferreira, M. Driller, F. P. M. Repinaldo Filho, C. J. Mazzoni & F. R. Santos (2020): Genomic evidence of recent hybridization between sea turtles at Abrolhos Archipelago and its association to low reproductive output. – Scientific Reports 10(1): 12847 oder Abstract-Archiv.

Bidmon, H.-J. (2017): Sind phylogenetische Stammbäume nur ein Traum? – Schildkröten im Fokus 14(1): 14-27 ➚.

Vilaça, S. T., F. Maroso, P. Lara, B. de Thoisy, D. Chevallier, L. Souza Arantes, F. R. Santos, G. Bertorelle, C. J. Mazzoni (2022): Evidence of backcross inviability and mitochondrial DNA paternal leakage in sea turtle hybrids. – Molecular Ecology 32(3): 628-643 oder Abstract-Archiv.

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