Zierschildkröte, Chrysemys picta, im Gartenteich – © Hans-Jürgen Bidmon

Browne - 2007 - 01

Browne, C. L. & S. J. Hecnar (2007): Species loss and shifting population structure of freshwater turtles despite habitat protection. – Biological Conservation 138(3): 421-429.

Artenverlust und Verschiebungen in der Populationsstruktur von Süßwasserschildkröten trotz Habitatschutz

DOI: 10.1016/j.biocon.2007.05.008 ➚

Tropfenschildkröte, Clemmys guttata, – © Hans-Jürgen Bidmon
Tropfenschildkröte,
Clemmys guttata,
© Hans-Jürgen Bidmon

Veränderungen in der Struktur von Populationen und Lebensgemeinschaften können wesentliche ökologische Konsequenzen haben, und sofern sie durch den Menschen verursacht werden, geben sie Anlass über Erhaltungsmaßnahmen nachzudenken. Allerdings sind die Anzeichen, diesen Stress und die Auswirkungen zu erkennen, nicht immer gegeben. Schildkröten sind langlebig, und das Vorhandensein von adulten Exemplaren kann einen eine gesunde Population vorgaukeln, obwohl das Fehlen eines Zuwachses die Existenz längst bedroht. Wir beobachteten und fingen zwei Jahre lang Schildkröten in Point Pelee National Park, Ontario, Kanada, und verglichen dann unsere Ergebnisse mit jenen, die vor 30 Jahren erhoben worden waren, in Bezug auf i.: relative Häufigkeit der einzelnen Spezies; ii.: Geschlechterverhältnis; iii.: Veränderungen der Altersstruktur über 3 Dekaden. Die Ausrottung der Tropfenschildkröte seit 1972-1973 hat die Lebensgemeinschaft des Parks verändert. Ebenso fanden sich Anhaltspunkte dafür, dass die Amerikanischen Sumpfschildkröten abnahmen. Die Geschlechterverhältnisse waren mit einer Ausnahme bei allen Spezies gleich geblieben, da nur bei der Zierschildkröte eine Verschiebung hin zu mehr Männchen signifikant war. Die Größenzusammensetzung für Amerikanische Sumpfschildkröten und Schnappschildkröten hatte sich hin zu größeren Tieren verschoben, was andeutet, dass sehr alte Tiere dominierten. Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass ein Mangel an Zuwachs durch Jungschildkröten ursächlich für diese Verschiebung bei der Größe war. Eine starke Ausbeutung der Nester durch eine dichte Waschbärpopulation könnte der Hauptfaktor für den Mangel an Zuwachs sein, obwohl ein großer Teil des Parks als Schildkrötenhabitat besonders geschützt ist. Trotz dieses Schutzes hat Point Pelee schon vor Jahrzehnten eine Art komplett verloren, und nur eine Art bildet noch eine gesunde stabile Population. Unsere Studie illustriert sehr deutlich, dass der alleinige Habitatschutz keine Garantie für die Erhaltung von Arten darstellt, wenn die Bedrohungen vielfältige Ursachen haben und zeigt, wie wichtig es ist, gerade die langlebigen Spezies gut zu überwachen.

Chrysemys picta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Zierschildkröte, Chrysemys picta,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Kommentar von H.-J. Bidmon

Eine Feststellung, die wohl zutreffend ist und von vielen übersehen wird. Denn wenn man unter Schutz nur das Ausklammern des menschlichen Einflusses versteht, begeht man auch einen Fehler und verursacht eine Veränderung gerade dann, wenn Populationen an menschliche Aktivitäten – zumindest an jene aus vergangen Zeiten – angepasst sind, wie zum Beispiel an die landwirtschaftliche Nutzung durch Weidevieh. Es sollte auch einleuchten, dass unter bestimmten Bedingungen in Gebieten, für die eine Nutzung durch den Menschen untersagt wird und in der jegliche Form der Bejagung unterbleibt, bestimmte Arten explodieren können, wie beim Waschbär, der wohl in Kanada und im Norden Amerikas während der letzten 300 Jahre als Pelztier von den unteren Schichten der Bevölkerung genutzt wurde. Vielleicht machen wir hier auch wieder einen semantisch bedingten Fehler und sollten besser den Begriff Habitatschutz durch Habitaterhaltung oder Habitatpflege ersetzen. Auch unsere Naturschützer hierzulande sollten sich darüber einmal Gedanken machen. Warum gibt es zum Beispiel in Deutschland stark genutzte Truppenübungsplätze und bewirtschaftete Steinbrüche sowie Kiesgruben, in denen bestimmte Arten seltener Amphibien florierende Populationen aufbauen und aufrecht erhalten, während in so manchem streng geschützten Natur- bzw. Landschaftsschutzgebiet von ständig rückläufigen Zahlen berichtet wird? Siehe auch Abstracts und Kommentare zu: Averill-Murray & Averill-Murray (2005); Bjurlin & Bissonette (2004); Bowne et al. (2006); Tracy et al. (2006).

Literatur

Averill-Murray, R.C. & A. Averill-Murray (2005): Regional-scale estimation of density and habitat use of the Desert Tortoise (Gopherus agassizii) in Arizona. – Journal of Herpetology 39(1): 65-72 oder Abstract-Archiv.

Bjurlin, C.D. & J. A. Bissonette (2004): Survival during early life stages of the desert tortoise (Gopherus agassizii) in the south-central Mojave desert. – Journal of Herpetology 38(4): 527-535 oder Abstract-Archiv.

Bowne, D. R., M. A. Bowers & J. E. Hines (2006): Connectivity in an agricultural landscape as reflected by interpond movements of a freshwater turtle. – Conservation Biology 20(3): 780-791 oder Abstract-Archiv.

Tracy, C. R., K. E. Nussear, T. C. Esque, K. Dean-Bradley, C. R. Tracy, L. A. DeFalco, K. T. Castle, L. C. Zimmerman, R. E. Espinoza & A. M. Barber (2006): The importance of physiological ecology in conservation biology. – Integrative and Comparative Biology 46(6): 1191-1205 oder Abstract-Archiv.

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