Chinesische Weichschildkröte, Pelodiscus sinensis, ein albinotischer Schlüpfling – © Robert Hentschel (www.chrysemys.com)

Fritz - 2010 - 01

Fritz, U., S. Gong, M. Auer, G. Kuchling, N. Schneeweiss & A.K. Hundsdörfer (2010): The world's economically most important chelonians represent a diverse species complex (Testudines: Trionychidae: Pelodiscus). – Organisms Diversity & Evolution 10(3): 227-242.

Die ökonomisch wichtigsten Schildkröten der Welt repräsentieren einen diversen Artenkomplex (Testudines: Trioychidae: Pelodiscus).

DOI: 10.1007/s13127-010-0007-1 ➚

Chinesische Weichschildkröte, Pelodiscus sinensis, – © Robert Hentschel (www.chrysemys.com)
Chinesische Weichschildkröte,
Pelodiscus sinensis,
© Robert Hentschel
(www.chrysemys.com)

Pelodiscus ist eine der am weitesten verbreiteten Gattungen unter den Weichschildkröten, deren Verbreitungsgebiet vom süd-östlichen Sibirien und Korea über das zentrale und südliche China bis nach Vietnam reicht. Aus ökonomischer Sicht sind Pelodiscus die wichtigsten Schildkröten der Welt, und sie werden seit Jahrhunderten in hohen Stückzahlen gezüchtet und gehandelt, was dazu führte, dass zahlreiche Populationen auch außerhalb ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets existieren. Derzeit werden mehr als 300 Millionen Schildkröten pro Jahr allein in China verkauft, wobei es sich bei den meisten um in Farmen gezüchtete Pelodiscus handelt. Durch ihre gute Verfügbarkeit ist Pelodiscus auch zu einem Modellorganismus für physiologische und embryologische Untersuchungen geworden. Allerdings ist die Diversität und Taxonomie für Pelodiscus nur unzureichend verstanden und eine umfassende Untersuchung unter Verwendung molekularbiologischer Techniken wurde bislang nicht publiziert. Traditionell werden alle Populationen der Spezies P. sinensis (Wiegmann, 1834) zugeordnet. Allerdings ergaben sich in den letzten Jahren Anhaltspunkte für drei Arten, die von einigen Autoren anerkannt werden, während die meisten anderen immer noch alles zu P. sinensis stellen. In dieser Studie benutzten wir gehandelte Exemplare und Proben von Exemplaren mit exakter lokaler Herkunft aus Sibirien, China, und Vietnam und analysierten 2.419 bp der mtDNS und ein 565-bp-langes Fragment des nukleären C-mos Gens, um deren genetische Diversität aufzuzeigen und um die Daten mit jenen Sequenzdaten zu vergleichen, die von der Genbank stammen. Unsere Ergebnisse liefern Beweise für die Existenz von mindestens sieben distinkten genetischen Linien und deuten an, dass es in den kommerziellen Zuchtfarmen zu einer deutlichen Inzucht kommt. Die GenBank Sequenzen, die P. axenaria (Zhou, Zhang & Fang, 1991) zugerechnet werden sind hochgradig distinkt. Die Validität für P. maackii (Brandt, 1857) aus dem nördlichsten Teil des Verbreitungsgebiets wurde bestätigt. Im Gegenzug ist es unklar, welche Namen den verschiedenen Taxa zugeordnet werden sollten, die in den zentralen und südlichen Teilen des Verbreitungsgebiets vorkommen. Die Diversität von Pelodiscus mahnt zur Vorsicht bei der Benutzung dieser Schildkröten als Modellorganismen, denn die Benutzung von mehr als einem Taxon könnte zu widersprüchlichen und nicht reproduzierbaren Ergebnissen führen. Zudem zeigen unsere Daten die Notwendigkeit für eine neue Beurteilung des Erhaltungsstatus für Pelodiscus. Da derzeit alle Taxa unter 'P. sinensis' zusammengefasst werden, die von der IUCN auf der Roten Liste bedrohter Arten als gefährdet ('vulnerable') eingestuft ist, könnte es sein, dass einige schon aktuell als stark bedroht oder hochgradig gefährdet eingestuft werden müssten.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Wie man im Artenschutz mit der Zuweisung dieser Schutzklassen umgehen sollte, wurde schon mehrmals unter den verschiedensten Aspekten diskutiert (siehe Turkozan et al. 2010). Ob nun wirklich physiologische oder embryologische wissenschaftliche Daten so stark von diesen neu gefundenen abzugrenzenden Spezies beeinflusst werden, sei auch dahingestellt, denn letztendlich haben sich Schildkröten trotz bekannter Artunterschiede als sehr robuste Studienobjekte erwiesen. Wenn wir aber z. B. auf die wissenschaftlich exakte Bestimmung von Pivotaltemperaturen für die TSD-Typen schauen, ja dann kommt es dabei sowohl auf die Spezieszugehörigkeit an als auch auf die Herkunft der Tiere, denn selbst auf Speziesebene hat eine Clemmys guttata aus Kanada eine andere Pivotaltemperatur als jene aus South Carolina, USA, und ebensolche Unterschiede dürften wohl auch zwischen den nördlichsten P. maackii und den südlichsten P. sinensis bestehen, wobei man aber getrost davon ausgehen kann, dass sie während der Entwicklung kaum Unterschiede aufweisen und sehr ähnliche Embryonalstadien durchlaufen dürften. Was ich vor dem aktuellen Hintergrund als eine sehr interessante Fragestellung in Bezug auf eine anthropogen beeinflusste aktuelle und zukünftige Biodiversität ansehen würde, wäre die Abklärung wie sich die seit Jahrhunderten bestehende Zucht und Nutzung dieser Schildkröten durch den Menschen auf die natürlichen Bestände ausgewirkt hat und auswirkt. Dabei meine ich weitweniger die allseits bekannte Entnahmepraxis aus der Natur und die Bestandsreduzierungen, sondern vielmehr wie sich das auf die genetische Differenzierbarkeit der Tiere in bestimmten Regionen des Verbreitungsgebiets ausgewirkt hat und auswirkt und ob es dabei zu Veränderungen gekommen ist, die die Überlebensfähigkeit der Populationen negativ oder auch positiv beeinflusst haben.

Literatur

Turkozan, O., F. Kiremit, J. F. Parham, K. Olgun & E. Taskavak (2010): A quantitative reassessment of morphology-based taxonomic schemes for Turkish tortoises (Testudo graeca). – Amphibia-Reptilia 31(1): 69-83 oder Abstract-Archiv.

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