Aldabra-Riesenschildkröte, Aldabrachelys gigantea, – © Hans-Jürgen Bidmon

Gerlach - 2011 - 01

Gerlach, J. (2011): Development of Distinct Morphotypes in Captive Seychelles-Aldabra Giant Tortoises. – Chelonian Conservation and Biology 10(1): 102-112.

Die Ausbildung distinkter Morphotypen bei gehaltenen Seychellen-Aldabra Riesenschildkröten.

DOI: 10.2744/CCB-0828.1 ➚

Aldabra-Riesenschildkröte, Aldabrachelys gigantea, – © Hans-Jürgen Bidmon
Aldabra-Riesenschildkröte,
Aldabrachelys gigantea,
© Hans-Jürgen Bidmon

Hier wurden die Wachstumsmuster in Gefangenschaft nachgezogener Seychellen-Aldabra Riesenschildkröten (Aldabrachelys/Dipsochelys) untersucht. Dies ermöglichte Vergleiche zur Entwicklung von drei distinkten Morphotypen, die von verschiedenen Autoren drei distinkten Spezies zugeordnet worden sind, oder von einigen anderen als eine Art mit gewisser Variabilität (A./D. dussumieri/gigantea, arnoldi und hololissa) beschrieben wurde. Geometrisch-morphometrische Analysen identifizierten Unterschiede im Wachstumsmuster bei den drei Morphotypen, die bei 234 juvenilen, unter identischen Bedingungen aufgezogenen Schildkröten erfasst worden waren. Anhand der Plastroncharakteristika konnten alle drei Morphotypen vom Schlupf an unterschieden werden. Anfänglich ähnelten sich alle Schlüpflinge bei der Dorsalansicht (Carapax von oben), aber ab einer Carapaxlänge von 30 cm konnten sie durch eine relative Warp-Analyse (statistisches Anpassungsverfahren) unterschieden werden. Der Arnoldi-Morphotyp ist der am meisten abweichende mit einer Einschnürung im Zentrum des Carapax, die den Beginn der Ausbildung einer sattelförmigen Carapaxmorphologie von 30 cm CL an kennzeichnet. Alle drei Morphotypen zeigen zwei distinkte Wachstumsmuster, eines, das sich vom Schlupf bis zu einer Carapaxlänge von 20-30 cm zeigt, und ein davon abweichendes Muster ab einer Länge ab 30 cm. Da diese Morphotypen unter identischen Bedingungen (zum größten Teil konstanten Bedingungen) aufgezogen wurden, lassen sich diese Wachstumsmuster eher als Ergebnis einer unterschiedlichen Ontogenie (Entwicklung) deuten, als durch die Umwelt induzierte Unterschiede. Unterschiede in der Entwicklung von Morphotypen lassen sich durch Umweltfaktoren allein nicht erklären und sind sehr wahrscheinlich das Ergebnis von Unterschieden im Genexpressionsmuster oder kleinen Unterschieden in Genen, die mit der Skelettentwicklung assoziiert sind.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Studie macht uns deutlich, wie sich Artenbildung verstehen lässt und was mit Umweltanpassung über Generationen hinweg zu verstehen ist. Insofern kann man immer noch davon ausgehen, dass diese drei Morphotypen aus einer Art hervorgingen und vielleicht auch noch genetisch eine Art repräsentieren. Denn auch innerhalb einer Art können sich Anpassungen einstellen, so wie das auch bei unterschiedlichen Rassen zu beobachten ist, die ein und derselben Art zuzurechnen werden (siehe auch Germano et al. 2009). Da sich diese Anpassungen natürlich – wie wir das von Rassemerkmalen kennen – genetisch oder molekular manifestieren, würde die Rückbildung dieser Unterschiede natürlich auch wieder eine bestimmte Anzahl von Generationen in einer neuen veränderten Umwelt bedingen. Insofern ist es eigentlich relativ sicher, dass es sich bei diesen Morphotypen um distinkte Populationen oder Inselpopulationen handelt, aber ob die Unterschiede in der genetischen Manifestation so unterschiedlich sind, dass sie drei unterschiedliche Arten oder unterschiedliche Lokalrassen ein und derselben Art darstellen, bleibt weiterhin unklar und ist wohl eher von der subjektiven Definition der Sachverhalte durch uns Menschen bedingt. Denn es ist ja nicht die Natur, die Kriterien zur Definition von Arten festlegt, sondern es sind Systematiker und damit Menschen, die dies tun. Allerdings wenn wir diese drei Morphotypen erhalten wollen, dann sollten wir sie auch als solche beschreiben und zur Kenntnis nehmen, was aber nicht zwingend erfordern würde, dass man ihnen auch drei individuelle Artnamen zuweist. Denn sowohl Rassen, wie auch Lokalpopulationen (-formen) haben aus meiner Sicht einen gleichen Erhaltungsstatus, solange es keine genetisch-medizinische Notwendigkeit gibt durch küstliche Erhöhung des Genflusses (über die Grenzen hinweg) die Art (oder den Artenkomplex) als solches so stabil zu halten, das sie überlebensfähig bleibt. Siehe dazu auch: Rieppel & Kearney (2007) und Kommentare zu: Carretero et al. (2005), Fritz et al. (2007), Turkozan et al. (2010).

Literatur

Carretero, M. A., M. Znari, D. J. Harris & M. C. Mace (2005): Morphological divergence among populations of Testudo graeca from west-central Morocco. – Animal Biology 55(3): 259-279 oder Abstract-Archiv.

Fritz, U., A. K. Hundsdörfer, P. Široký, M. Auer, H. Kami, J. Lehmann, L. F. Mazanaeva, O. Türkozan & M. Wink (2007): Phenotypic plasticity leads to incongruence between morphology-based taxonomy and genetic differentiation in western Palaearctic tortoises (Testudo graeca complex; Testudines, Testudinidae). – Amphibia-Reptilia 28(1): 97-121 oder Abstract-Archiv.

Germano, D. J. & R. B. Bury (2009): Variation in Body Size, Growth, and Population Structure of Actinemys marmorata from Lentic and Lotic Habitats in Southern Oregon. – Journal of Herpetology 43(3): 510-520 oder Abstract-Archiv.

Rieppel, O. & M. Kearney (2007): The poverty of taxonomic characters. – Biology & Philosophy 22(1): 95-113 oder Abstract-Archiv.

Türkozan, O., F. Kiremit, J. F. Parham, K. Olgun & E. Taskavak (2010): A quantitative reassessment of morphology-based taxonomic schemes for Turkish tortoises (Testudo graeca). – Amphibia-Reptilia 31(1): 69-83 oder Abstract-Archiv.

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