Strahlenschildkröte, Astrochelys radiata, ein Männchen frisst Blätter des Spindelstrauchs oder Pfaffenhütchens, Euonymus europaeus, – © Hans-Jürgen Bidmon

Hammer - 2015 - 01

Hammer, J. M. (2015): Reproduction as a Function of Living Conditions: The Breeding Biology of the Radiated Tortoise (Astrochelys radiata) under Natural and Captive Conditions in Southwest Madagascar. – Journal of Herpetology 49(4): 633-640.

Reproduktion als Funktion der Lebensbedingungen: Die Reproduktionsbiologie der Strahlenschildkröte (Astrochelys radiata) unter natürlichen und Gefangenschaftsbedingungen im südwestlichen Madagaskar.

DOI: 10.1670/14-055 ➚

Strahlenschildkröte, Astrochelys radiata, – © Hans-Jürgen Bidmon
Strahlenschildkröte,
Astrochelys radiata,
© Hans-Jürgen Bidmon

Die Strahlenschildkröte (Astrochelys radiata) ist eine der vier in Madagaskar sehr stark bedrohten Landschildkrötenarten, die sehr stark von der Wilderei betroffen sind. Obwohl es erfolgreiche Nachzuchtprogramme für diese Art sowohl auf Madagaskar wie auch international gibt, so gibt es nur wenige Informationen über deren Reproduktionsökologie in der Wildnis. In dieser Studie vergleiche ich die charakteristischen Reproduktionsparameter für diese Art und deren Reproduktionserfolg bei einer wild lebenden Population (WP) innerhalb ihres natürlichen Lebensraums im Tsimanampetsotsa National Park und einer in Gefangenschaft gehaltenen Population (CP), die unter den regionalen klimatischen Bedingungen im südwestlichen Madagaskar gehalten wird. Die Reproduktionsaktivitäten treten saisonal auf, wobei die Eiablagen zwischen Februar und Oktober erfolgen, und bei denen die durchschnittliche Gelegegröße (± SD) 3,4 ± 1,6 Eier bei den (CP-Tieren) und 2,5 ± 0,5 Eiern (WP-Tieren) umfasst. Ich stellte fest, dass die Eimasse positiv mit der Körpermasse der Weibchen korreliert war, wobei die Weibchen der CP-Population größer waren als die Weibchen der WP-Population. Die Eigewichte lagen bei den CP-Weibchen bei 36,6 ± 6,4 g und waren höher als bei den WP-Weibchen (30,1 ± 4,0 g). Die Inkubationszeit schwankte zwischen 132 und 271 Tagen für die CP-Tiere und zwischen 210-292 Tagen für die WP-Tiere. Die Schlüpflinge der CP-Population verließen im Dezember und Januar die Nester, während sich bei der WP-Population der Schlupf auf den Dezember beschränkte. Das Körpergewicht der Schlüpflinge zeigte keine Populationsunterschiede. Meine Ergebnisse lassen vermuten, dass die Entnahme der großen Individuen aus den wild lebenden Populationen (als Folge der Wilderei für den illegalen Fleischhandel) den Reproduktionserfolg negativ beeinflusst und die Langzeitüberlebensfähigkeit der Art in der Wildnis bedroht.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hierbei handelt es sich um eine gute Studie, die deutliche Unterschiede zwischen den in Gefangenschaft gehaltenen und den wild lebenden Schildkröten aufzeigt. Insbesondere beeindruckte mich der Unterschied in der Befruchtungs- bzw. Schlupfrate zwischen beiden Populationen, auf die im Abstract nicht eingegangen wird, die aber tabellarisch dem Inhalt der Arbeit zu entnehmen sind. Obwohl die Anzahl der abgelegten Eier bei den wildlebenden Schildkröten deutlich geringer ausfiel als bei der CP-Population, so lag der Schlupferfolg bei den freilebenden Schildkröten bei 66,7 %, während er bei den Tieren in Gefangenschaft nur bei 22 % lag. Dieser Befund deckt sich mit vielen Beobachtungen aus der Haltung in menschlicher Obhut hier in Europa oder in den USA. Da diese Population aber vor Ort unter gleichen klimatischen Bedingungen wie die Wildtiere gehalten worden sind, muss dieser Unterschied wohl allein auf die Haltungsbedingungen zurückzuführen sein. Als Unterschiede scheint zum einen die Fütterung und Wasserversorgung in Betracht zu kommen, denn die Tiere in Gefangenschaft waren besser versorgt, was sich sowohl in höheren Körpergewichten wie auch in der Fähigkeit der Weibchen mehrere Gelege pro Weibchen und Saison abzulegen widerspiegelte. Bei den Wildtieren konnte lediglich für ein Weibchen ein Zweitgelege während einer Nistsaison festgestellt werden. Allerdings könnte es dafür auch andere Gründe geben, die sich auch hier zum Teil bei der Haltung in menschlicher Obhut beobachten lassen. Zum einen diskutiert die Autorin, dass diese WP-Population aus beschlagnahmten Tieren – die für den Lebensmittelmarkt gewildert worden waren – besteht. Zur Ernährung werden aber bevorzugt möglichst große Weibchen gewildert, da sie mehr Fleisch liefern und die Chance auf zusätzlich zu verwertende Eier (Eierstöcke) größer ist (über mögliche negative Auswirkungen dieser Praxis auf die Bestände siehe O’Brien et al. 2004, 2005). Deshalb könnte es sein, dass die großen Weibchen, wenn nur wenige gleichgroße Männchen vorhanden sind, eine geringere Befruchtungsrate aufweisen. Leider gibt es in der Arbeit keine Angaben zum Geschlechterverhältnis und den Gewichtsunterschieden zwischen Männchen und Weibchen für die untersuchten Populationen. Ein weiterer Grund könnte auch darin bestehen, dass die Tiere in Gefangenschaftshaltung durch die beengten Lebensbedingungen größerem Stress ausgesetzt sind, der sich bekanntlich auch negativ auf die Reproduktion auswirken kann (siehe Tracy et al. 2006, Fazio et al. 2014 sowie die entsprechenden Kommentare). Und auch in der Haltung hierzulande lassen sich meiner Meinung nach Stressphänomene beobachten. Denn bei Tieren, die während des Sommers im Freiland gehalten werden und im Herbst in ihr Winterinnenquartier umziehen müssen, beobachtet man öfter, dass die ersten Gelege (die im Innenquartier abgelegt werden) noch eine gute Befruchtungsrate aufweisen (vermutlich noch stressfrei draußen befruchtet worden), während die ersten Nachfolgegelege meist deutlich niedrigere Schlupfraten aufweisen. Auch hierbei könnte der Umzugsstress eine gewisse Rolle spielen. Wobei sich Stress auch negativ auf eine mögliche Spermaspeicherung auswirken kann, die laut Liu et al. (2016) für die Schildkröten, die bislang überhaupt daraufhin untersucht wurden, Geschlechtshormon- bzw. (Testosteron)-abhängig ist, und Stresshormone wie Corticosteroide dafür bekannt sind Geschlechtshormone kompetitiv an deren Bindungsstellen zu verdrängen sowie deren Produktion zu hemmen (Tracy et al. 2006).
Leider enthält die Studie keine Angaben über die Blutspiegel von Hormonen. Allerdings könnten diese laut persönlicher Auskunft von Frau Hammer noch nachträglich untersucht werden, wenn sich eine Nachfolgerin oder Nachfolger für ein solches Projekt finden würde. Laut ihrer Auskunft wäre das aber nur für die Schildkröten in Gefangenschaft möglich, aber nicht mehr für die wildlebenden Tiere, denn die Wilderei schreitet so rasant fort, dass sie bei ihrem letzten Besuch der freilebenden Population nur noch ein einziges Weibchen ausfindig machen konnte (siehe dazu auch Ganzhorn et al. 2015).

Literatur

Fazio, E., P. Medica, G. Bruschetta & A. Ferlazzo (2014): Do Handling and Transport Stress Influence Adrenocortical Response in the Tortoises (Testudo hermanni)? – ISRN Veterinary Science 2014: 798273 oder Abstract-Archiv.

Ganzhorn, J. U., T. Manjoazy, O. Päplow, R. Randrianavelona, J. H. Razafimanahaka, W. M. Ronto, E. Vogt, F. Wätzold & R. C. J. Walker (2015): Rights to trade for species conservation: exploring the issue of the radiated tortoise in Madagascar. – Environmental Conservation 42(4): 291-293 oder Abstract-Archiv.

Liu, T., X. Chu, Y. Huang, P. Yang, Q. Li, L. Hu, H. Chen & Q. Chen (2016): Androgen-related sperm storage in oviduct of Chinese Soft-Shelled Turtle in vivo during annual cycle. – Sci Rep., doi: 10.1038/srep20456.

O’Brien, S., E. R. Emahalala, V. Beard, R. M. Rakotondrainy, A. Reid, V. Raharisoa & T. Coulson (2003): Decline of the Madagascar radiated tortoise Geochelone radiata due to overexploitation. – Oryx 37(3): 338-343 oder Abstract-Archiv.

O’Brien, S., B. Robert & H. Tiandray (2005): Hatch size, somatic growth rate and size-dependent survival in the endangered ploughshare tortoise. – Biological Conservation 126(2): 141-145 oder Abstract-Archiv.

Tracy, C. R., K. E. Nussear, T. C. Esque, K. Dean-Bradley, C. R. Tracy, L. A. DeFalco, K. T. Castle, L. C. Zimmerman, R. E. Espinoza & A. M. Barber (2006): The importance of physiological ecology in conservation biology. – Integrative and Comparative Biology 46(6): 1191-1205 oder Abstract-Archiv.

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