Gewöhnliche Moschusschildkröte, Sternotherus odoratus, – © Hans-Jürgen Bidmon

Heiss - 2010 - 01

Heiss, E., N. Natchev, C. Beisser, P. Lemell & J. Weisgram (2010): The Fish in the Turtle: On the Functionality of the Oropharynx in the Common Musk Turtle Sternotherus odoratus (Chelonia, Kinosternidae) Concerning Feeding and Underwater Respiration. – The Anatomical Record 193(8): 1416-1424.

Der Fisch unter den Schildkröten: Über die Funktionalität des Oropharynx bei der gewöhnlichen Moschusschildkröte, Sternotherus odoratus (Chelonia, Kinosternidae) in Bezug auf die Nahrungsaufnahme und Unterwasseratmung.

DOI: 10.1002/ar.21185 ➚

Gewöhnliche Moschusschildkröte, Sternotherus odoratus, – © Hans-Jürgen Bidmon
Gewöhnliche Moschusschildkröte,
Sternotherus odoratus,
© Hans-Jürgen Bidmon

Bei Tetrapoden dienen die Mund-Rachenhöhle und deren anatomische Strukturen hauptsächlich – aber nicht nur – zur Aufnahme und zum Transport von Nahrung. In dieser Studie präsentieren wir Beweise für eine zweite Funktion des Oropharynx bei der nordamerikanischen gewöhnlichen Moschusschildkröte, Sternotherus odoratus, Kinosternidae: Aquatischer Gasaustausch. Unter der Anwendung von Hochgeschwindigkeitsvideoaufzeichnungen können wir zeigen, dass S. odoratus an Land Futter mit den Kiefern ergreifen kann, aber danach nicht in der Lage ist, dieses Futter unter Zuhilfenahme der Zunge in die Mundhöhle zu transportieren, wobei bei jedem Versuch an Land das Futter verloren wurde. Rasterelektronenmikroskopische und lichtmikroskopische Untersuchungen zeigten den Grund dafür, da die Zunge bei diesen Schildkröten nur schwach entwickelt ist. Obwohl die Zunge sehr klein und rudimentär ist, trägt sie verschiedene lappen-förmige Papillen, die man als eine Anpassung an eine terrestrische Nahrungsaufnahme fehl interpretieren könnte. Vergleichbare Papillen finden sich auch auf der gesamten Mund-Rachenschleimhaut. Letztere sind, wie die Lichtmikroskopie zeigt, sehr stark vaskularisiert (durchblutet) und spielen sehr wahrscheinlich eine wichtige Rolle für den aquatischen Gasaustausch (Unterwasseratmung). Diese Vaskularisierung der Mundhöhlenpapillen von S. odoratus verglichen wir dann mit jener bei Emys orbicularis, einer aquatischen Emydidae mit einer vergleichbaren Ökologie, die keine Unterwasseratmung zeigt. Oropharyngealpapillen, die zur Unterwasseratmung dienen, finden sich aber auch bei Weichschildkröten (Trionychidae), einer vermuteten Schwestergruppe der Kinosterniden. Diese Ausprägung stellt möglicherweise eine ursprüngliche Gemeinsamkeit für beide Gruppen dar, die ihnen Vorteile in den aquatischen Habitaten bietet, die sie besiedeln.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Um Missverständnissen vorzubeugen – Natürlich können Moschusschildkröten im Wasser Nahrung aufnehmen und durch Festhalten, Abbeißen und Einsaugen, aufnehmen und verschlucken. Aber diese Studie ist wieder einmal ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie die Umwelt, sprich die ökologische Einnischung der Tiere deren Morphologie und Physiologie beeinflusst. Ein Umstand, der nicht deutlich genug hervorgehoben werden kann und der mit einer der Gründe dafür ist, warum es sehr schwierig und problematisch sein kann, fossile Funde systematisch-phylogenetisch einzuordnen, weil wir meist wenig über die ökologische und ökotrophologische Einnischung der Lebewesen wissen, oder erst aufwändige Untersuchungen dazu führen, dass man deren wahre Lebensbedingungen erkennen kann. Siehe auch: Scheyer & Sander (2007).

Literatur

Scheyer, T. M. & P. M. Sander (2007): Shell bone histology indicates terrestrial palaeoecology of basal turtles. – Proceedings: Biological Science 274(1620): 1885-1893 oder Abstract-Archiv.

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