Schnappschildkröte, Chelydra serpentina, – © Hans-Juergen-Bidmon

Massey - 2019 - 01

Massey, M. D., S. M. Holt, R. J. Brooks & N. Rollinson (2019): Measurement and modelling of primary sex ratios for species with temperature-dependent sex determination. – Journal of Experimental Biology 222(1): 190215.

Die Messung und Modellierung von primären Geschlechterverhältnissen für Spezies mit temperaturabhängiger Geschlechtsausprägung.

DOI: 10.1242/jeb.190215 ➚

Schnappschildkröte, Chelydra serpentina, – © Hans-Jürgen Bidmon
Schnappschildkröte,
Chelydra serpentina,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Bei vielen oviparen Tieren beeinflusst die Inkubationstemperatur das Geschlecht mittels einer temperaturabhängigen Geschlechtsausprägung (TSD). Obwohl der Klimawandel das Geschlechterverhältnis von Arten mit TSD verschieben kann gibt es nur wenige verfügbare Methoden um das Geschlecht unter natürlichen Inkubationsbedingungen vorherzusagen und noch weniger dieser Methoden basieren auf mechanistischen Hypothesen zur Geschlechtsentwicklung. Ebenso wurden diese Methoden selten im Freiland getestet. Wir postulieren einen neuen Untersuchungsansatz der darauf basiert, dass er für natürliche Nester eine Maskulinisierungswahrscheinlichkeit (PM) errechnet. Dieser Ansatz fast die mechanistischen Hypothesen die die Ergebnisse von TSD beschreiben zusammen indem er die embryonale Entwicklung mit der temperaturabhängigen Reaktionsnorm zur Geschlechtsfestlegung integriert. Zudem modifizieren wir eine allgemein zur Geschlechterverhältnisabschätzung genutzte Methode des konstanten Temperaturäquivalents (CTE), und liefern dazu quantitative Abschätzungen der Geschlechterverteilung. Wir testen unseren neuen Ansatz bei der Schnappschildkröte (Chelydra serpentina). Dazu manipulierten wir experimentell die Nester im Freiland und fanden, dass die PM-Methode bessere Vorhersagen liefert als die modifizierte CTE, wobei erstere 69 % und letztere 63 % der Variation im Geschlechterverhältnis zwischen 27 seminatürlichen Freilandnestern erklärt. Als nächstes verwendeten wir die PM-Methode zur Vorhersage der Geschlechterverhältnisschwankungen bei 14 ganz naturbelassenen Nestern über zwei Jahre hinweg und konnten damit 67 % der Variationen erklären. Wir folgern daraus dass der PM-Ansatz die effektivste und am breitesten einsetzbare Methode für Spezies mit TSD ist, insbesondere für Vorhersagen wie sich die Geschlechterverhältnisse mit dem Klimawandel verschieben könnten. Interessanterweise beobachteten wir auch, dass der modifizierte CTE 64 % der Schwankungsbreite beim Geschlechterverhältnis für eine Art mit Type II TSD erklärt was nahelegt, dass unsere Modifizierungen für spätere Forschungsarbeiten nutzbar sind. Letztendlich lassen unsere Daten vermuten, dass die Population der Schnappschildkröten im Algonquin-Park relativ widerstandsfähig gegenüber einer Verschiebung im Geschlechterverhältnis bei fortschreitenden Klimawandel ist.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun diese Arbeit liefert im wesentlichen mathematische Verfahren zur Bestimmung und Beschreibung biologischer, temperaturabhängiger Vorgänge unter natürlichen Nistbedingungen die sicher nicht für alle so einfach ohne weitere Vorinformationen zu verstehen sind. Dennoch finde ich diese Befunde durchaus interessant, denn sie deuten, auch wenn es sich im Wesentlichen um Modelle handelt, auf einen Umstand hin den wir auch retrospektiv beobachten können. Denn immerhin haben es Schildkröten geschafft mehrere solcher in der Erdgeschichte erfolgten Klimaveränderungen zu überdauern, sodass die Ergebnisse dieser Daten zumindest für Spezies wie Chelydra serpentina in eine richtige Richtung deuten indem sie ihr bescheinigen, dass sich trotz Klimawandel deren Geschlechterverhältnis nicht so stark verschieben würde, dass ein Überleben unmöglich wäre. Sie sehen die Tiere haben die Möglichkeit zum Überleben aber dennoch brauchen sie dazu auch etwas mehr und Glück, dass ihre Gewässer bei steigenden Temperaturen erhalten bleiben oder dass sie Möglichkeiten zum Abwandern aus trockenfallenden Regionen finden. Das Letzteres nicht für alle Populationen zutreffen wird sollte auch klar sein, denn auch dafür finden sich Belege in den Fossilfunden.

Galerien