Mork - 2014 - 01

Mork, L., M. Czerwinski & B. Capel (2014): Predetermination of sexual fate in a turtle with temperature-dependent sex determination. – Developmental Biology 386(1): 264-271.

Vorfestlegung der Geschlechtsausprägung bei einer Schildkröte mit temperaturabhängiger Geschlechtsausprägung.

DOI: 10.1016/j.ydbio.2013.11.026 ➚

Die Temperatur, bei welcher die Eier inkubieren, bestimmt das Geschlecht der Nachkommen bei vielen Arten von Reptilien, einschließlich der Rotwangen-Schmuckschildkröte, bei der die Embryonen bei niedriger Inkubationstemperatur während der frühen Entwicklungsstadien Gonaden entwickeln Männchen werden, und die, die sich bei hohen Temperaturen entwickeln, Weibchen werden. Eine Inkubation im Beriech der Grenztemperatur oder Pivotaltemperatur (PvT) ergibt ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis von Männchen zu Weibchen. Diese strenge Empfindlichkeit gegenüber der Temperatur legt nahe, dass jeder Embryo dieser Spezies die Potenz in sich trägt, sich sowohl zum Männchen, als auch zum Weibchen zu entwickeln. Allerdings sind die Mechanismen, die das sexuelle Schicksal bei beim Vorliegen der PvT bestimmen, noch nicht identifiziert. Eine Möglichkeit wäre, dass das sexuelle Schicksal stochastisch bei Vorliegen der PvT festgelegt wird, aber dann durch individuelle systemische Signale in jedem einzelnen Embryo koordiniert würden. Wenn dies der Fall wäre, dann sollten explantierte Gonaden, die in getrennter Kultur gehalten werden, ihre Entwicklung unabhängig voneinander durchlaufen. Hier zeigen wir aber, dass Gonadenpaare von Embryonen, die bei PvT inkubierten, eine starke Prädispositon hin zum selben Geschlecht haben oder dass die getrennt in Kultur inkubierten Gonadenpaare zeigen, dass sie von gemeinsamen genetischen Signalen beeinflusst werden, wie z. B. mütterlicherseits mit gegebenen Hormonen im Dotter, die ihre Wirkung schon vor dem Entwicklungsstadium bei der Gonadenentnahme entfaltet hatten. Untersuchungen, die im ganzen Ei durchgeführt wurden und bei denen eine Verschiebung von einer Männchen-produzierenden oder Weibchen-produzierenden Temperatur hin zur PvT vorgenommen wurde, zeigen ebenfalls, dass die Embryonen eine sexuelle Entwicklungsrichtung etliche Tage, bevor sich eine morphologische Differenzierung hin zu Hoden oder Ovarien einstellt, einschlagen, wobei sie normalerweise dieses Geschlecht beibehalten, solange keine extremen nur ein bestimmtes Geschlecht fördernde Temperaturen auftreten. Unsere Befunde legen daher nahe, dass die Geschlechtsbestimmung bei diesen Reptilien sehr deutlich beeinflusst wird 1.durch eine inhärente Prädisposition beim Vorliegen der PvT und 2. durch einen sexuellen Entwicklungsverlauf, der sehr früh in der Gonadenentwicklung beim Vorliegen von Weibchen- oder Männchen-produzierender Temperatur eingeleitet wird.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Auch hier wieder eine interessante experimentelle Arbeit, die zeigt, dass das Geschlecht eben auch durch mütterliche Faktoren bestimmt wird. Ob es sich dabei um ererbte genetische Faktoren handelt oder auch um epigenetische Phänomene, wie bei der epigenetischen Wirkungsweise einer geschlechtsbestimmenden Temperatur, bleibt offen. Es gibt aber aus der Säugetierforschung genug Hinweise, dass zum Beispiel Stress dazu führt, dass in einer Population entweder die Reproduktionsrate sinkt oder aber hin zu dem Geschlecht verschoben wird, welches bei Erreichen der Geschlechtsreife die Population oder Gruppe verlassen würde. Ob also in einer zu dichten Schildkrötenpopulation Stresshormone auch dazu führen würden, dass sich eine Prädisposition zu mehr Männchen einstellt, bleibt unklar, aber man sollte solche Faktoren nicht ganz aus den Augen verlieren, insbesondere bei Arten, für die bekannt ist, dass sie unter natürlichen Bedingungen in hohen Dichten vorkommen können. Denn solche Situationen erfordern meist eine gewisse Sozialstruktur und Anpassung, etwas das sich zum Beispiel für Arten wie die Strahlenschildkröte andeuten könnte (siehe Leuteritz et al. 2005). Allerdings stellt sich hier auch die Frage, welchen Einfluss eine durch die Temperatur verursachte Geschlechtsverschiebung bei einem Tier hat, welches zum Beispiel zwar eine vorgegebene Prädisposition zum Männchen hatte, aber das durch zu hohe Temperaturen sich in Richtung Weibchen entwickeln musste. Sind das die eierlegenden Exemplare mit großer penisartiger Klitoris? Solche Möglichkeiten der maternalen Einflussnahme auf das Geschlecht (Elf et al. 2003, Ramsey & Crews 2008) ermöglichen es aber den Arten vielleicht auch, sich viel besser und effektiver dem Klimawandel anzupassen. Denn es wäre durchaus denkbar, dass zum Beispiel solche hormonellen Faktoren dazu beitragen, verstärkt eine Prädisposition hin zu einem Geschlecht vorzugeben, welches in einer natürlichen Population unterrepräsentiert ist, sodass jede Situation, sprich ein kühleres Jahr ausreichen würde, dass sich fast nur Männchen entwickeln, die dann bei solch langlebigen Spezies den Bestand an Männchen für die Folgejahre auffüllen würde. Zumindest scheint es auch dafür erste Anzeichen zu geben (Wright et al. 2012). Denn die größten registrierten globalen Temperaturanstiege gab es ja in den Jahren des vorherigen Jahrhunderts und auch schon einmal vor 100.000 Jahren, und zumindest diesen Temperaturanstieg vor 100.000 Jahren müssen viele Tiere mit temperaturabhängiger Geschlechtsbestimmung überstanden haben, denn sonst wäre ihr so genannter Fossilrekord längst abgerissen.

Literatur

Elf, P. K. (2003): Yolk steroid hormones and sex determination in reptiles with TSD. – General and Comparative Endocrinology 132(3): 349-355 oder Abstract-Archiv..

Kerr, R.A. (2014): Atlantic Current Can Shut Down For Centuries, Disrupting Climate. – Science, 343: 831.

Leuteritz, T. E. J., T. Lamb & J. C. Limberaza (2005): Distribution, status, and conservation of radiated tortoises (Geochelone radiata) in Madagascar. – Biological Conservation 124(4): 451-461 oder Abstract-Archiv..

Ramsey, M. & D. Crews (2008): Steroid signaling and temperature-dependent sex determination-Reviewing the evidence for early action of estrogen during ovarian determination in turtles. – Seminars in Cell and Developmental Biology 20(3): 283-292 oder Abstract-Archiv..

Wright, L. I., K. L. Stokes, W. J. Fuller, B. J. Godley, A. McGowan, R. Snape, T. Tregenza & A. C. Broderick (2013): Turtle mating patterns buffer against disruptive effects of climate change. – Proceedings of Biological Science 279: 2122-2127.