Tropfenschildkröte, Clemmys guttata, – © Hans-Jürgen Bidmon

Nagle - 2021 - 01

Nagle, R. D., T. J. Russeel & R. J. Rimple (2021): Sheltering oak: spotted turtles in a tree. – Ecology: e03585.

Beherbergende Eichen: Tropfenschildkröten in einem Baum.

DOI: 10.1002/ecy.3585 ➚

Tropfenschildkröte, Clemmys guttata, – © Hans-Jürgen Bidmon
Tropfenschildkröte,
Clemmys guttata,
© Hans-Jürgen Bidmon

Diese buntbebilderte Mitteilung hat kein Abstract schildert aber eine interessante Freilandbeobachtung die auch für die Tropfenschildkrötenhaltung im Freiland von Interesse sein und vielleicht sogar dabei helfen könnte die Schildkröten während der Überwinterung oder während kühlerer Wetterphasen leichter zu überwachen und zu kontrollieren, wenn man solche Höhlen die mit einem Zugang in Form eines Türchens versehen sind anbietet.
Hier beschreiben die Autoren einleitend die verschiedensten Besiedlungsarten von Lebewesen oder sogenannten Wirtstieren wie das Vorkommen von Kommensalen oder Symbionten oder von Mietern wobei letztere eben die Höhlen von meist größeren Tieren oder Pflanzen mitbewohnen.
Im Anschluss schildern sie, dass sie eine mit einem Radiosender markierte adulte weibliche Tropfenschildkröte, Clemmys guttata, Mitte Oktober lokalisierten, wobei die Schildkröte unter einem sehr großen Eichenbaum der Art Quercus bicolor vermutet wurde. Sie versuchten dann das Tier unter den Blättern und ausgedehnten Wurzelwerk auszugraben was aber erfolglos blieb. Erst dann bemerkten sie, dass die Schildkröte wohl im Inneren des Baumes sein musste und sie fanden dann auch an der Basis des Baumstamms zwei Löcher die etwa die Größe einer Tropfenschildkröte aufwiesen. Acht Tage nach dieser Entdeckung lokalisierten sie eine weitere mit einem Sender bestückte männliche Tropfenschildkröte in der gleichen Position. Während der nachfolgenden 1,5 Jahre stellten die Autoren fest, dass 62,5 % der Individuen in dieser Tropfenschildkrötenpopulation diesen Baumstamm nutzten wobei die Schildkröten sich im späten Oktober und frühen November, wenn die Temperaturen über Nacht absanken in den Baumstamm zurückzogen wobei sie die Baumstammhöhle erst wieder im März, wenn die Wassertemperaturen anstiegen verließen. Das Areal um den Baumstamm war im Herbst noch trocken aber im Dezember war die Baumstammbasis etwa 10-15 cm unter Wasser was auch für die restlichen Wintermonate so blieb. Die Überwinterungszeit betrug durchschnittlich 132,7 Tage (120-147 Tage). Auch nach der Überwinterung nutzten die Schildkröten die Baumstammhöhle über Wochen wobei insgesamt 11 Schildkröten, 3 adulte und 1 subadultes Weibchen sowie 7 adulte Männchen gezählt wurden die diesen Baumstamm über 40 mal nutzten wobei sie im Durchschnitt 5,7 Tage darin verweilten. Die Autoren nutzten dann eine Endoskopkamera um die Schildkröten in der Höhle zu überwachen und im Frühjahr 2021 konnten sie dabei beobachten wie ein Männchen ein Weibchen in der Höhle aufsuchte und begattete. Der innere Höhlendurchmesser betrug 40-50 cm wobei die Baumstammdicke 1,2 m betrug. Da solche Bäume sehr alt sind könnte diese Baumstammhöhle schon etlichen Generationen von Tropfenschildkröten gedient haben wobei sie auch im Frühjahr in dem Wasser um den Baum sehr viele Kaulquappen als Nahrung finden.
Neben diesen Fakten sollten uns solche detaillierten und fotodokumentierten Beobachtungen aber noch auf etwas aufmerksam machen. Sie zeigen uns nämlich, dass viele Verhaltensweisen bei Tieren und Pflanzen umweltgeprägt auftreten und diese Umweltbedingungen sind nicht für alle Populationen dieselben. Wir kennen nur zugut sowohl aus der Schildkrötenhaltung wie auch aus der Wissenschaft die oftmals geäußerte Meinung, dass Schildkröten asozial sind und auf alle Fälle die Einzelhaltung die sicherere Haltungsmethode wäre. Für die Haltung mag das zutreffen aber aus wissenschaftlicher Sicht ist das zum einen Unsinn, weil es für sich geschlechtlich fortpflanzende Lebewesen so etwas nicht gibt, weil der Begriff Einzelgänger eben keine reale, sondern abstrakte Definition ist und zum anderen, weil die lokalen Umweltbedingungen eben darauf einen Einfluss haben. Viele werden aus der Tierhaltung zustimmen, dass es schwierig sein dürfte 4-5 Weibchen und 8 Männchen von C. guttata auf kleinem Raum zusammenzuhalten, aber wie diese natürliche Population zeigt, zeigt sich im Bezug zur Benutzung einer solchen Höhle ein wohl komplett anderes und unerwartetes Bild. Hier leben diese Populationsmitglieder in einer Gemeinschaft wohl auch weil die Kaulquappen-reiche Ernährungssituation im Frühjahr in den Flachwasserzonen um die Eiche eine solche Lebensweise unter geringem Konkurrenzdruck erlaubt. Hier beobachten wir den Einfluss einer besonderen Mikrohabitatsituation (Umwelt) auf eine bestimmte Population. Das ist genauso eine auf eine individuelle Population bezogene Beobachtung wie die von Roth & Krochmal (2015) gemachte populationsbezogene Beobachtung zum Erlernen dieser exakten und in dieser Umwelt überlebensnotwendigen Navigationsfähigkeit. Ja, und solche Befunde sollten uns auch daran erinnern wie wir bestimmte Verhaltensexperimente und deren Ergebnisse bei Tieren zu beurteilen haben (siehe dazu auch Santaca et al. (2020) und die dortige Literatur). Die Arbeit ist wie gesagt mit schönen farbigen Bildern aus der Baumhöhle und der Umgebung versehen.

Literatur

Roth, T. C. II & A. R. Krochmal (2015): The Role of Age-Specific Learning and Experience for Turtles Navigating a Changing Landscape. – Current Biology 25(3): 333-337 oder Abstract-Archiv.

Santacà, M., M. E. M. Petrazzini, A. Wilkinson & C. Agrillo (2020): Anisotropy of perceived space in non-primates? The horizontal-vertical illusion in bearded dragons (Pogona vitticeps) and red-footed tortoises (Chelonoidis carbonaria). – Behavioural Processes 176: 104117 oder Abstract-Archiv.

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