Santa-Cruz-Riesenschildkröte, Chelonoidis porteri, ein senderbestückter Schlüpfling auf Santa Cruz – © Stephen Blake

Poulakakis - 2012 - 01

Poulakakis, N., M. Russello, D. Geist & A. Caccone (2012): Unravelling the peculiarities of island life: vicariance, dispersal and the diversification of the extinct and extant giant Galapagos tortoises. – Molecular Ecology 21(1): 160-173.

Aufdeckung der Besonderheiten von Inselbewohnern, Vikarianz (Abspaltung, Besiedlung), Ausbreitung und die Diversifikation der ausgestorbenen und noch lebenden Galapagos-Riesenschildkröten.

DOI: 10.1111/j.1365-294X.2011.05370.x ➚

Bei isoliert gelegenen ozeanischen Inseln werden die Besiedlungsmuster häufig als das Ergebnis der Ausbreitung einer Spezies im Gegensatz zur Abspaltung interpretiert. Solche Betrachtungsweisen müssen die Sachverhalte jedoch nicht unbedingt korrekt widerspiegeln, insbesondere dann nicht, wenn sich die Beziehungen zwischen den Inseln mit der Zeit verändern und wenn neue Inseln nicht in einer einfachen linearen Abfolge entstehen. Zudem kann im Fall bedrohter Taxa die Komplexität in der Phylogeographie von ozeanischen Inseln zunehmen, wenn man Aussterbensereignisse mit einbezieht, die Anzahl der Ausgangsformen unsicher ist oder wenn menschliche Aktivitäten im Rahmen der Kolonisierung dazu beigetragen haben, dass das ursprüngliche Artenspektrum gestört wurde. Hier adressierten wir diese Probleme anhand einer Rekonstruktion der Evolutionsgeschichte der Galapagos-Riesenschildkröten, indem wir sowohl die DNS-Daten ausgestorbener und noch lebender Spezies mit den Information über die Einflussnahme des Menschen als auch die neuesten Befunde zur geologischen Entstehung integrierten. Unsere Ergebnisse zeigen, dass nur drei der fünf ausgerotteten oder nahezu ausgerotteten Spezies als unabhängige Evolutionseinheiten angesehen werden sollten. Die Ausbreitung vom südamerikanischen Festland begann vor ungefähr 3,2 Millionen Jahren, nachdem die zwei ältesten Inseln San Cristobal und Espanola entstanden und besiedelbar waren. Die Ausbreitung von den älteren Inseln auf jüngere begann vor etwa 1,74 Millionen Jahren und es gab danach mehrfache Besiedlungen von Tieren unterschiedlichster Herkunft (Herkunftsinseln) innerhalb des Inselarchipels. Aufspaltungsereignisse, bedingt durch die Inselentstehung, Abtrennungsereignisse und Koaleszenz (Wiedervereinigung) sowie komplette Abtrennungen, trugen dann zur Diversifikation (Aufspaltung) der unterschiedlichen Entwicklungslinien auf den Inseln Pinzon und Florena bei, die sich etwa auf 1,26 und 0,85 Millionen Jahre zurückdatieren lassen. Die vorliegende Arbeit stellt ein gutes Beispiel dar, wie die Rekonstruktion der Entwicklungsgeschichte stark gefährdeter Taxa trotz Ausrottungsereignissen und durch den Menschen verursachter Verbreitungsereignisse erfolgreich durchgeführt werden kann, und sie hebt deutlich hervor, dass man im Fall von Inselbewohnern sowohl Ausbreitungsereignisse als auch die Vikarianz betrachten muss, da sich diese Ereignisse nicht durch die Verwendung eines linearen Entstehungsmodells erklären lassen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Arbeit liefert eigentlich ein schönes Beispiel dafür, dass es in der Evolution von Tieren und in diesem Fall von Schildkröten durchaus immer wieder zu Aufspaltungen und Wiedervereinigungen gekommen ist und zwar mehrfach – ein Umstand, den man sich auch leicht vorstellen kann. Denn auch wenn erfolgreich verlaufende Verdriftungsereignisse übers Meer hin zu besiedelbaren Inseln oder Festlandsregionen selten sein dürften, so wäre es wohl töricht anzunehmen, dass dies für jede Insel oder Region in der Erdgeschichte nur einmal vorgekommen sei. Nein, wie die Autoren hier belegen, gab es zahlreiche solcher Ereignisse, und sie führten dazu, dass es immer wieder auch zu Hybridisierungsereignissen (Introgessionen) gekommen ist und sich trotzdem Arten entwickelt haben, die wir heute als solche betrachten. Im Grunde genommen ein ähnliches Bild wie es auch schon bei Hoffmann & Sgro (2011) für die Darwinfinken diskutiert wird. Dieses Beispiel zeigt uns auch, wie die Natur arbeitet und dass es den Begriff Arterhaltung im wörtlich genommenen Sinne nie gegeben hat und auch nicht geben wird, da Leben zwangsläufig, wenn es Bestand haben will, sich eher durch fortschreitende Anpassung und Veränderung beschreiben lässt. Einen Status Quo gibt es wirklich nur als Erhaltungsmaßnahme in Alkohol oder Formalin im Museum. Siehe auch Kommentare zu Fritz et al. (2011) und Friedberg & Myers (2012).

Literatur

Freedberg, S. & E. M. Myers (2012): Cytonuclear equilibrium following interspecific introgression in a turtle lacking sex chromosomes. – Biological Journal of the Linnean Society 106(2): 405-417 oder Abstract-Archiv.

Fritz, U., C. Schmidt & C. H. Ernst (2011): Competing generic concepts for Blanding’s, Pacific and European pond turtles (Emydoidea, Actinemys and Emys) – Which is best? – Zootaxa 2791(1): 41-53 oder Abstract-Archiv.

Hoffmann, A. A. & C. M. Sgro (2011): Climate change and evolutionary Adaptation. – Nature 470(7335): 479-485.